2024-12-02_KSTA_LB_ Nach 20 Jahren bleibt das Rad stehen
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- Erstellungsdatum 02/12/2024
- Zuletzt aktualisiert 02/12/2024
2024-12-02_KSTA_LB_ Nach 20 Jahren bleibt das Rad stehen
VON CHRISTOPH BLÖCHER, LEVERKUSEN
Eine teils ironische Betrachtung unseres Lesers zum Thema Verkehrswende in der Stadt und zur Situation der Radfahrer Oft müssen sich Verantwortliche der Stadt wohl anhören, was alles nicht läuft, unterstellen Bürger, dass den Worten keine Taten folgen, werden politische Erfolge nicht anerkannt. Daher möchte ich hier eine kleine Erfolgsgeschichte teilen: Seit letztem Monat habe ich die persönliche Verkehrswende vollzogen und möchte mich auf diese Weise bei all denen bedanken, die mich dazu gebracht haben: Vom Oberbürgermeister über Stadtrat und Verwaltung bis hin zu den Verkehrsplanern und TBL.
Dabei habe ich es ihnen allen wahrlich nicht leicht gemacht. Vor 20 Jahren sind wir nach Leverkusen gezogen, seitdem lege ich nahezu täglich die Strecke nördliches Opladen-Chempark zurück, etwa eine Stunde pro Tag, 4000 km pro Jahr. Und von Anfang an habe ich erlebt, dass es hier besondere Widerspenstigkeit braucht, sich der schon damals forcierten Verkehrswende zu widersetzen. Wofür bei mir zunächst ein tiefer Griff ins Portemonnaie stand.
Denn mein geschätztes Fahrrad, welches mir in vielen Städten zuvor treue Dienste geleistet hatte, hätte hier wahrlich nicht lange durchgehalten. Buckelpisten-Radwege, Bordsteine hoch und runter, zwangsweise Ausflüge durch unbefestigtes Gelände – dem habe ich mich mit Stahlrahmen, verstärkten Felgen und breiteren Reifen widersetzt, mit einem Rad, das eigentlich gebaut wurde, um Nepal zu durchqueren.
Ich war aber auch bereit zu mentaler Umstellung: Geduld erlernen, innere Gelassenheit finden und vor allem: Früher aufstehen! So hatte ich auch dem Bestreben, mich an Kreuzungen auszubremsen, etwas entgegenzusetzen. Denn ob kleinteilige Gestaltung mit vielen Einzelquerungen, flächendeckende Anbringung von Bedarfsknöpfen oder schlicht Programmierung der Ampelphasen: Das ist schon extrem effektiv, und ich muss anerkennen, dass Sie es über die Jahre tatsächlich zur Perfektion gebracht haben (die Neugestaltung der Ampelanlagen um den Chempark herum!).
Die Kreisverkehre, wo Sie ähnlich effektiv ausbremsen und zusätzlich etwas Risiko reinbringen (Ihr Meisterstück hier der Berliner Platz), habe ich neben Geduld mit einer Großpackung Bremsbeläge gekontert. In die ich auch immer dann greifen konnte, wenn Sie mir das Leben schwer gemacht haben, indem Sie mich mit den Fußgängern zusammengepfercht haben. Durchaus geschickt, hier Konflikte zu schüren und so über die psychologische Ebene zum Umstieg zu bewegen. Hat aber letztendlich auch nicht gereicht, da ich mit Rücksichtnahme (und nochmals früherem Aufstehen) etwas entgegensetzen konnte.
Nur einmal hätten Sie mich fast schon gehabt, mit der Maßnahme, die Geh-/Radwege nicht nur mit Ampel- und Schildermasten zuzustellen, sondern auch sämtliche Baustellenschilder und -ampeln nie auf der Fahrbahn zu platzieren (selbst wenn dort fünf Fahrspuren zur Verfügung stehen), sondern immer auf den Geh-/Radweg, und sei der auch noch so eng. Wenn damals, als einer der Schilderfüße den Kinderanhänger einmal um sich selbst hat drehen lassen, meinen Mädchen irgendetwas passiert wäre...
Glück für uns, dem Überrollbügel sei Dank sind wir mit dem Schrecken davongekommen. Pech für Sie, sonst wäre ich sicher schon gleich zu Beginn meiner Leverkusener Zeit auf das Auto umgestiegen.
Nicht ganz verstanden habe ich anfangs die Einrichtung der Fahrradstraßen auf Feldwegen und Nebenstraßen. Klar, dem Vorankommen und der Sicherheit bringt das nichts, aber direkt behindern tun sie mich auch nicht. Wozu also das Ganze? Erst mit der Zeit habe ich begriffen: Wer an nutzloser Stelle Reservate für Radfahrer schafft und auch noch bewirbt, dass man dort doch bitte auf diese achtgeben solle, suggeriert, dass man das anderswo nicht zu tun braucht. Subtil, aber zugegeben sehr effektiv, zumindest wenn man sich auf seine motorisierten Bürger verlassen kann.
Ein einziges Mal nur in all den 20 Jahren habe ich an Ihrer Konsequenz gezweifelt, als beim Bau der Europaallee zwei getrennte Fahrspuren auftauchten. Da dachte ich tatsächlich, dass eine für Radfahrer sei, vielleicht weil das in so vielen anderen Städten derzeit so gemacht wird. Keine Ahnung, warum ich Sie alle da so unterschätzt habe. Denn im Gegenteil, selbst den rücksichtsvollsten Autofahrer zwingen Sie dort nun, den Radfahrern beim Überholen dicht auf die Pelle zu rücken, auf dass diese von der Straße vertrieben und in die parallelen Fußwege gescheucht werden (die dann an Treppenaufgängen enden). Das hätte schon fast gereicht, doch endgültig gekriegt haben Sie mich dann damit, auch die vorhandenen Nord-Süd-Radwege auf den Bürgersteigen quasi über Nacht abzuschaffen (Robert-Blum-Straße). Das war wahrlich ein grandioser Schachzug
Nicht, weil Sie mich damit auf die Straße gezwungen haben, im Gegenteil: Das spart eigentlich nur ein paar Bremsbeläge und ein wenig Gehoppel. Nein, brillant war, das so umzusetzen, dass die motorisierten Verkehrsteilnehmer im Glauben gelassen werden, die Straße müsse weiter Radfahrer-frei sein. Hut ab, das hat gewirkt. Klar, Ihre Bürger müssen auch mitziehen, müssen die Einladung zum Bedrängen, Beschimpfen, Hupen annehmen. Wobei ein oder zwei dieser Spezies pro Tag ja reichen.
In jedem Fall hat es bei mir gewirkt, dem Stress kann und will ich mich nicht mehr täglich aussetzen. Die Widerspenstigen kriegt man wohl nur, wenn man Ihnen an die Gesundheit geht. Mag sein, dass es auch eine Altersfrage ist, und ich in jüngeren Jahren trotzig weiter geradelt wäre. Jedenfalls falle ich Ihnen und Ihrer Stadt nun weniger zur Last: Seit letztem Monat ist der Fuhrpark der Familie um das zweite Auto gewachsen und ich kann den täglichen Weg zur Arbeit nun wunschgemäß motorisiert zurücklegen.
Kleine Anekdote zum Schluss: Beim Lesen dieser Zeilen stutzte meine Frau kurz und fragte, ob das nicht eigentlich anders gemeint sei mit der Verkehrswende. Ob nicht das, was ich 20 Jahre lang getan habe, das Ziel sei. Wir haben beide lauthals gelacht. Nein, es ist vollkommen undenkbar, dass eine Stadt, die so agiert wie oben beschrieben, eigentlich das andere anstreben könnte. In diesem Sinne Ihnen allen weiter frohes Gelingen!