2025-02-13_RP_Wir Reichen verfeuern den Planeten

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  • Zuletzt aktualisiert 13/02/2025

2025-02-13_RP_Wir Reichen verfeuern den Planeten

2025-02-13_RP_Wir Reichen verfeuern den Planeten

Kultur
Wir Reichen verfeuern den Planeten

Gastbeitrag Die BASF-Erbin und Aktivistin Marlene Engelhorn sagt: Unsere Gesellschaft bezahlt mit der Armut der Vielen den Überreichtum der Wenigen. Das wohlhabendste Prozent werde die 99 anderen nicht retten, sondern Privilegien schützen.

Es ist ewig her, dass ich Hamlet gelesen und sogar noch länger, dass ich das Stück im Theater gesehen habe. Es gibt aber eine Stelle im berühmtesten Monolog „Sein oder nicht Sein” (Akt 3, Szene 1 (89–91), und zwar drei Verse, die immer gelten:

„And makes us rather bear those ills we have / Than fly to others that we know not of? / Thus conscience does make cowards (of us all,)”

Zu Deutsch: „Dass wir die Übel, die wir haben, lieber / Ertragen als zu unbekannten fliehn. / So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;”

Ohne das Internet, also ohne Social Media, genauer: ohne Instagram wäre ich so schnell nicht auf diese Stelle gestoßen. Bis vor Kurzem war ich außerdem nicht auf Social Media, wo allerlei Schätze und Krempel aus Kunst und Literatur hemmungslos zu Content verarbeitet werden. Ich hatte mir eingebildet, das sei nicht meins, ich kommuniziere anders (und damit meinte ich, mit mehr Tiefgang als dieses oberflächliche Internet-Touchscreen-Herumgewische). Irrtum. Ich bin genauso verwirrt und begeistert und überfordert von Social Media wie alle anderen auch (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Social Media sind auch nur Medien und ich denke, alle Medien sind irgendwo ein Spiegel, der uns selbst plus der gesamtgesellschaftlichen Mischung all der anderen Menschen, die das Medium auch aktiv nutzen, zeigt. Wer sich Objektivität einbildet, nutzt keinen Spiegel.

Kritische Haltungen (wie meine zu Social Media) kommen nicht selten aus einem Mangel aus Erfahrung und Unwissenheit über das Thema, wobei man sich gleichzeitig einbildet, die eigene Meinung sei schon spruchreif. Wer hat denn auch die Zeit, sich umfassend mit einem Thema zu beschäftigen, Wissen und Erfahrungen zu sammeln, Nuancen zu studieren und somit eine echte Ahnung davon zu bekommen, welche Kritik angebracht ist und welche nicht – mitunter, weil man nicht weiß, ob man genug weiß, um Expert:in zu sein? Ich nicht. Sie?

Oder wussten Sie, dass der ostdeutsche Median, also die Grenze, wo die Hälfte der Bevölkerung je drüber und drunter liegt, beim Nettovermögen in Deutschland bei 43.000 Euro liegt, während der westdeutsche Median 128.000 Euro beträgt? Wussten Sie, dass die Erbschaftssteuer eine Familienheimklausel hat, die selbst genutztes Wohneigentum von der Erbschaftssteuer ausschließt, was jede Person und Organisation, die eine Oma-Häuschen-Besteuerungs-Fantasie befeuert, Lügen straft?

Wussten Sie, dass 2023 bei 26 Erbschaftsfällen von Betriebsvermögen über 26 Millionen Euro ganze 2,1 Milliarden Euro Erbschaftssteuer erlassen wurden, weil die Erb:innen als „bedürftig” eingestuft wurden? Wussten Sie, dass bei der Erbschaftssteuer eine „Verschonungsbedarfsprüfung” ab einer solchen Multimillionen-Erbschaft beantragt werden darf, wo man sich den Stichtag aussuchen kann, an dem man nur zu beweisen hat, dass man nicht flüssig ist – zum Beispiel indem man davor Aktien kauft, die man danach gleich wieder verkauft –, was zu eben genannter „Bedürftigkeit” und somit zum Steuererlass führt?

Wussten Sie, dass Oxfam ein Vermögenssteuermodell für Deutschland erarbeitet hat, das jährlich 85 Milliarden bringen würde, die von den Überreichen aus den Gewinnen gezahlt werden können und somit nicht einmal das Wachstum dieser Vermögen stoppt, sondern nur ein klein wenig verlangsamt und gleichzeitig sämtliche Investitionsprobleme des Haushalts auf der Einnahmenseite angeht?

Ungleichheit baut auf unserer Ignoranz auf und auf dem Komfort der Menschen, die von ihr profitieren. Die US-amerikanische Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou zitiert die drei Verse von Shakespeare in einem Video, das mir auf Instagram vorgeschlagen wurde. Sie sagt, dass Menschen sich davor fürchten, von ihrer Ignoranz, ihrem Nicht-Kennen und damit Nicht-Verstehen, getrennt zu werden. Und zwar gerade, weil sie diese Ignoranz so gut kennen, so gut wie ihre eigenen Körpergerüche.

Und darum ist es so wichtig, denen zuzuhören, die für uns alle das Wissen sammeln und uns aus der Ignoranz lösen können. Mitunter weil sie gleichzeitig die Würde des Menschen über den neoliberalen Ego-Trip stellen, der schlussendlich kein Mitgefühl kennt. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit ist so eine Organisation, die akribisch recherchiert und eine Analyse bereitstellt, die für Solidarität in der Gesellschaft und allgemein für das Teilen ist.

Wer aber ignoriert, dass Ungleichheit bedeutet, dass wir als Gesellschaft mit der Armut der Vielen für den Überreichtum der Wenigen bezahlen, der ignoriert, dass Überreichtum die Demokratie bedroht. Das reichste Prozent wird die 99 anderen nicht retten. Sondern wir Überreichen werden den Planeten verfeuern, für konservative bis reaktionäre oder gar offen menschenverachtende Politik spenden. Wagen Sie einen Blick in die Recherche von Lobby Control, wenn Sie mir nicht glauben. Denn wir schützen unsere Privilegien – auf Kosten Ihrer Rechte. Das sollten Sie nicht ignorieren.

INFO

Warteliste für „Geld ist Klasse“ im FFT

Marlene Engelhorn Unsere Gastautorin ist eine deutsch-österreichische Aktivistin und Publizistin. Sie wurde 1992 in Wien geboren. Sie ist Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn (1821–1902). Das Vermögen ihrer Familie stammt aus dem Verkauf des Unternehmens Boeh­ringer Mannheim. Engelhorn erbte einen zweistelligen Millionenbetrag von ihrer Großmutter. Im Sommer 2024 spendete sie 25 Millionen Euro und ließ es durch einen Bürgerrat für gemeinnützige Zwecke verteilen.

 

„Geld ist Klasse“ Das Stück mit Volker Lösch, Marlene Engelhorn und Marlene Reiter (Text Lothar Kittstein) wurde im September 2024 im Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf uraufgeführt. Jetzt ist „Geld ist Klasse“ mit anschließendem Publikumsgespräch an diesem Freitag und Samstag, jeweils 20 Uhr, erneut im FFT zu sehen. Beide Veranstaltungen sind ausgebucht.

 

Restkarten Das FFT empfiehlt Interessierten, dass sie sich am Veranstaltungstag ab 19 Uhr auf eine Warteliste an der Theaterkasse eintragen – für den Fall, dass reservierte Karten nicht abgeholt werden. „Geld ist Klasse“ ist auch noch am 6. und 7. Juni im Pumpenhaus in Münster zu sehen: www.pumpenhaus.de.