Heiß wie nie Deutschland erwärmt sich schneller als andere Länder
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- Erstellungsdatum 19/10/2024
- Zuletzt aktualisiert 19/10/2024
Heiß wie nie Deutschland erwärmt sich schneller als andere Länder
Heiß wie nie Deutschland erwärmt sich schneller als andere Länder
Langsam verlieren auch nüchterne Experten die Geduld. Die Sorge war Tobias Fuchs, Vorstand Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes (DWD), deutlich anzumerken, als er unlängst zum diesjährigen Extremwetterkongress die Wetterentwicklung der vergangenen zwölf Monate Revue passieren ließ.
Die Spur der immer häufigeren Extremwetterereignisse führe eindeutig in Richtung Klimawandel. Transformation und Anpassung seien angesichts der beschleunigten Entwicklung dringend notwendig. Die schlechte Nachricht sei, dass wir zu langsam vorankommen. Die gute sei, dass es immer noch möglich ist, etwas gegen die globale Erwärmung zu tun.
Beunruhigend schnell
Was der DWD in seinem Faktenreport zum Extremwetter in Deutschland akribisch zusammengefasst hat, zeigt vor allem eines: eine Beschleunigung der Erwärmung, die auch Expertinnen und Experten beunruhigt. Möglicherweise sei sie ein Anzeichen dafür, dass die natürliche Wärmeresilienz der Erde – etwa der Puffer, den die Ozeane durch die Aufnahme eines Großteils der Wärmeenergie bilden – erschöpft ist, wie PIK-Direktor Johann Rockström kürzlich auf der DLD-Konferenz in München andeutete.
Es gibt allerdings auch andere Einschätzungen. Eine aktuelle Studie kommt zu dem Schluss, dass in den meisten globalen Zeitreihen trotz der Rekordtemperaturen von 2023 keine Änderung der Erwärmungsrate seit den 1970er Jahren zu erkennen ist: „Unsere Ergebnisse zeigen nur begrenzte Hinweise auf einen Erwärmungsschub“, so die Forschenden.
Für DWD-Klimatologen Fuchs sind aber zumindest für Deutschland die vergangenen Jahre ein Fanal für die Beschleunigung: „Niemals zuvor haben wir in Deutschland und weltweit ein so warmes Jahr registriert wie 2023.“ Auf dieses Rekordjahr folgten bei uns weitere Rekorde, etwa bei den frostfreien Tagen auf der Zugspitze.2024 gab es 66 davon, was den bisherigen Rekord von 25 Tagen in den Schatten stellt.
Deutschland gehört zu den Regionen, die sich am schnellsten erwärmen: Unter anderem wegen der größeren Landmasse im Vergleich zur Meeresfläche liegt die Erwärmung seit Beginn der Aufzeichnungen bereits bei 1,8 Grad, mehr als ein halbes Grad mehr als weltweit (1,3 Grad). „Die Temperaturen in Deutschland sind damit deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt“, so der DWD. Seit 1960 war hier jedes Jahrzehnt wärmer als das vorhergehende.
Europa hat sich in den vergangenen 30 Jahren mit rund 1,5 Grad am stärksten von allen Kontinenten erwärmt, wobei die Ukraine mit 2,07 Grad an der Spitze liegt. Weltweit am stärksten war die Erwärmung in den vergangenen drei Jahrzehnten mit rund 2,2 Grad in der Arktis. Seit Beginn der Aufzeichnungen war die Erwärmung dort mit rund 3 Grad doppelt so hoch wie weltweit. Deutschland liegt nun mit 1,8 Grad über dem globalen Mittel.
Im Zeitraum von 1881 bis 2023 war es jedes Jahrzehnt um 0,13 Grad wärmer, im Zeitraum von 1971 bis 2023 betrug diese Erwärmungsrate bereits 0,38 Grad: „Das ist dreimal so viel.“ Hier zeige sich die deutliche Beschleunigung des Temperaturanstiegs auch in Deutschland, so Fuchs. Vergleicht man das vergangene Jahrzehnt mit den ersten drei Jahrzehnten des Beobachtungszeitraums (1881 bis 1910) beträgt das Temperaturplus sogar 2,3 Grad: „Das heißt, der Anstieg ist nicht mehr linear, sondern es geht am Ende steil aufwärts“, so Fuchs.
Alarmierend ist auch, dass neun der zehn wärmsten Jahre seit 1881 in Deutschland seit dem Jahr 2000 aufgetreten sind. Und auch das Jahr 2024 ist wieder auf dem Weg nach oben, auch wenn der Sommer nicht extrem heiß ausfiel: Es waren vor allem die deutlich zu warmen Monate Februar und März, die die Durchschnittstemperatur nach oben trieben.
Noch nie gab es in Deutschland einen Monat mit einer so großen Temperaturabweichung wie den Februar 2024, mit einer Durchschnittstemperatur von 6,6 Grad, über 6 Grad mehr als in der Referenzperiode 1961-1990. Ein solcher Temperaturanstieg im Sommer hätte eine Hitzewelle ohnegleichen zur Folge gehabt. „Wir haben Glück gehabt“, sagte Fuchs.
Die Zahl der Hitzetage mit mindestens 30 Grad hat sich in Deutschland von drei in den 1950er Jahren auf heute elf fast vervierfacht. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ging es noch steiler nach oben: Ohne wirksamen Klimaschutz erwarten die Expertinnen und Experten des DWD sogar einen weiteren Anstieg von 10 auf 20 Hitzetage in Nord- und Süddeutschland. „Dann würde im Jahr 2060 in einer Stadt wie Freiburg an fast jedem zehnten Tag die 30-Grad-Marke deutlich überschritten.“
In vielen Regionen Deutschlands sei inzwischen eine deutliche Häufung von Hitzewellen zu beobachten. „Das wird mit dem Klimawandel weiter zunehmen.“ Brisant werde es in den stark versiegelten Innenstädten, wo es bei Hitzewellen bis zu zehn Grad wärmer als im Umland werden könnte. „Darauf müssen wir uns schnell und effektiv einstellen, wenn wir einen Anstieg der Hitzetoten verhindern wollen.“
Nach den überwiegend extrem trockenen Jahren 2018 bis 2022 waren die 12 Monate von Juli 2023 bis Juli 2024 so niederschlagsreich wie noch nie seit Messbeginn.Langfristig beobachten die Klimaforscher des DWD jedoch einen Trend zu trockeneren Frühjahren und Sommern. „Ausnahmen wie 2024 widerlegen den Trend nicht, sondern sind Teil der natürlichen Variabilität.“
Für die Landwirtschaft bedeute dies, dass Pflanzen angebaut werden müssen, die mit einem wärmeren und trockeneren Klima besser zurechtkommen. Andererseits müsse der Wasserverbrauch generell reduziert werden.
Drei Grad mehr möglich
Das Fazit von DWD-Experte Fuchs: „Wir erleben eine ungebremste Erderwärmung mit immer heftigeren Wetterextremen.“ Trotzdem sollten wir nicht resignieren: „Wir können dem Klimawandel entgegenwirken und uns erfolgreich anpassen. Deshalb lohnt es sich, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen und jetzt in den Klimaschutz zu investieren.“
Die Phase der beschleunigten Erwärmung bedeute auch, dass sogar eine globale Erwärmung um drei Grad bis 2050 nicht mehr völlig ausgeschlossen werden könne, so Frank Böttcher, Präsident der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG); die World Weather Attributions (WWA) geht aktuell von mindestens zwei Grad Erwärmung bis dahin aus.
Schon in wenigen Jahren könnte das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad gerissen werden. Bei anhaltender Erwärmung halten Experten ab 2080 Anstiegsraten des Meeresspiegels von fünf bis sechs Zentimetern pro Jahr für möglich.„Das bedeutet, dass wir beim Klimaschutz und auch bei der Anpassung viel schneller sein müssen als bisher.“
Auch Sven Plöger reißt langsam der Geduldsfaden: „Wir müssen jetzt viel tun, viel mehr, als wir denken“, sagte der ARD-Meteorologe mit Blick auf Klimaschutz und Anpassung. Extremwetterereignisse seien inzwischen für alle spürbar: Das zweite extreme Hochwasser in Mitteleuropa sei nicht lange her, das Mittelmeer war im Sommer bis zu 30 Grad warm und weltweit seien tiefgreifende Veränderungen zu beobachten, wie etwa die extremen Überschwemmungen in Westafrika mit über 1200 Toten.
Der Mediziner Eckart von Hirschhausen ist schon lange besorgt. Für ihn ist die Klimakrise die mit Abstand größte Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert. „Doch wir verpassen Jahrzehnte und verdrängen das Problem.“ So sei der Begriff „Jahrhunderthochwasser“ heute falsch, besser passen würde vielmehr „Hochwasserjahrhundert“. Wir müssten jetzt unbedingt handeln. Frankreich sei uns dabei beispielsweise schon weit voraus.
„Eine Klimabremse wäre viel wichtiger als eine Schuldenbremse“, sagte Hirschhausen auf dem Extremwetterkongress. Der Schutz der Lebensgrundlagen müsse oberste politische Priorität erhalten, so der Mediziner.
Die unzureichenden Reaktionen auf Klimakrise und Artensterben verglich von Hirschhausen mit einem Schlafenden, der mit voller Blase aufwacht und einfach wieder die Augen schließt, ohne wirklich weiterschlafen zu können. Statt weiterzuschlafen, müssten die Menschen nun die Lösungen für das Klimaproblem in den Blick nehmen: „2024 ist das Jahr, in dem wir die Augen öffnen müssen!“